Stress erkennen – Stress bewältigen

Stress hat viele Gesichter. Vielfältige körperliche Symptome, wie Schlaflosigkeit, Unruhezustände, Depressionen und Schmerzen.

In Österreich gibt es rund zwei Millionen Krankenstandstage pro Jahr, die durch seelische Beschwerden verursacht werden. In Europa entfallen 31 Prozent der berufsbedingten Krankenstandstage auf psychische Erkrankungen und 29 Prozent sind Folge körperlicher Beschwerden. Auch bei den Arbeitsunfällen hat sich das Verhältnis umgekehrt: Nur noch 44 Prozent aller gemeldeten Arbeitsunfälle sind durch körperliche Belastungen verursacht, während 63 Prozent der Arbeitsunfälle psychische Belastungen als Ursache haben (nach Angaben des Instituts für Stressprophylaxe und Salutogenese ISS). In der EU ist Stress am Arbeitsplatz nach Rückenschmerzen das zweithäufigste arbeitsbedingte Krankenstandproblem.

Stress ist situations- und personengebunden - es gibt nicht die Stressreaktion - sondern es handelt sich um einen Prozess, der mit organischer Mobilisierung über Stunden, Tage und Monate einhergeht. Die auftretenden Emotionen sind nicht einheitlich. Die Art der beteiligten Emotionen (positiv oder negativ) ist nicht entscheidend, sondern das Ausmaß der Emotionen. Die Psychologie definiert Stress als charakteristisches Reaktionsmuster (Anpassungssyndrom) bzw. als einen syndromhaften Zustand von unspezifisch hervorgerufenen Veränderungen innerhalb des biologischen Systems.

Eine pragmatische Klassifikation von Stressoren unterscheidet objektive und subjektive Stressoren: Objektive Stressoren sind: Schlafentzug, Verletzungen, Krankheiten, schwere Operationen, Verbrennungen, Unterkühlung, Hitze, Kälte, Luftdruckveränderungen, Hunger, Durst, Lärm, intensives Licht, Isolation, Dichte (wie Bevölkerungsdichte), monotone Arbeit, Unterforderung und Überforderung, schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen, Nichterfüllung wesentlicher Bedürfnisse.

Subjektive Stressoren sind: negative Denkmuster, die Neigung zu Ungeduld, Ärger, Wut, Angst, Feindseligkeit, Dominanzstreben oder Konkurrenzdenken, falsche Situationsbewertungen, Schwarzsehen, Hineinsteigern, selbst gemachter Zeit- und Leistungsdruck, zu hohe Erwartungen, Enttäuschungen, eingebildete Bedrohung oder Hilflosigkeit.

Die Stressreaktion wird über einfache oder komplexe Sinneseindrücke ausgelöst und beginnt im limbischen System des Gehirns, in dem vornehmlich grundlegende Verhaltensprogramme des Schlaf-Wach-Rhythmus, der Ernährung und des Fortpflanzungsverhaltens sowie Emotionen erzeugt werden. Verhaltensweisen, die für die Alarmreaktionen notwendig sein könnten. Vom limbischen System aus werden spezifisch aktivierende Reize an den Hypothalamus geleitet. Im Hypothalamus nimmt der hormonelle Reaktionsweg (Glucocorticoide, Adrenalin/Noradrenalin) der Stressreaktion seinen Anfang. Die weiteren Reaktionen sind individuell verschieden. Manche Menschen reagieren auf die Stresshormone und die Blutdruckveränderung mit psychosomatischen und/oder somatischen Krankheitsbildern wie Angststörungen, Depressive Störungen, Kopfschmerzen, Migräne, Schlaflosigkeit, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Magen-Darm-Erkrankungen, Gefäßerkrankungen, Asthma, Störungen des Immunsystems, gereizter Haut, Allergien, Muskelverspannungen oder -verkrampfungen. Einschneidende traumatische Ereignisse wie Unfälle, Katastrophen und Kriegserfahrungen können zur posttraumatischen Belastungsreaktion (engl. post-traumatic stress disorder, PTSD) führen. Die Symptome können erst Monate nach dem erlittenen traumatischen Erlebnis auftreten und äußern sich nach anfänglicher Abgestumpftheit vor allem in nervöser Reizbarkeit, Kontaktstörungen und Depressionen. In letzter Zeit wird diese Liste immer häufiger ergänzt durch das sogenannte Chronische Erschöpfungssyndrom (Chronique Fatique Syndrom, CFS), bei dem vielfältige körperliche Beschwerden mit massiven Konzentrationsstörungen, allgemeiner Leistungs- und Antriebsschwäche sowie einer ständigen, starken Müdigkeit einhergehen.

Neuere Forschungen bestätigen, dass starker und chronischer Stress direkt das Immunsystem schwächt und unmittelbar zu gesundheitlichen Störungen führt oder den Verlauf bestehender Krankheiten negativ beeinflussen kann. Ein zehnwöchiges therapeutisches Antistresstraining bei Frauen mit Brustkrebs führte zu deutlich verbesserten Cortisol- und Immunwerten. Stressbefunde gibt es auch in der Herzmedizin, wonach akuter Stress die Blutgefäße blockiert und zur Plaquebildung beiträgt. Stress kann die Entwicklung eines Magengeschwürs ebenso fördern wie seine Heilung beeinträchtigen. Während 80 Prozent aller Menschen mit Helicobacter keine Magengeschwüre entwickeln, zeigt gleichzeitig jeder dritte Ulkuspatient keinerlei Helicobacterspuren.

Wichtig in diesem Zusammenhang scheint, dass Stressoren und Stressreaktionen auf längere Sicht bei vielen Menschen zu gesundheitsabträglichen Lebensweisen führen und damit indirekt das psychosomatische Erkrankungsrisiko erhöhen kann. Dadurch verursachte Erkrankungen vermindern nicht nur die eigenen Leistungsmöglichkeiten und setzen damit die persönliche Belastbarkeit und Stresstoleranz herab, sondern sie wirken auch als belastendes Lebensereignis und als Stresssituation. Es entsteht ein Teufelskreis, bei dem Ursache und Wirkung bald nicht mehr voneinander zu trennen sind. Man fühlt sich unsicher, nervös, gereizt, emotional angespannt, innerlich unausgeglichen, häufigen und starken Stimmungsschwankungen zwischen Euphorie und Depression ausgesetzt, kann nicht mehr klar denken, fühlt sich getrieben und gehetzt. Man merkt, dass einem die Kontrolle über sich selbst zu entgleiten droht und fühlt sich gleichzeitig hilflos. Man weiß, dass man anderen gegenüber aggressiver und ungeduldiger reagiert als früher und damit zwischenmenschliche Beziehungen aufs Spiel setzt. Viele verlieren auch das Vertrauen in die eigene Kraft und Leistungsfähigkeit. Welt- und Selbstsicht werden zunehmend pessimistischer. Die Lebensfreude geht verloren. Das Selbstwertgefühl wird instabil. Ängste nehmen zu (vor beruflichem Misserfolg, von anderen als Versager angesehen zu werden, vom Partner verlassen zu werden etc.). Das Endstadium sind dann Verzweiflung, Depression, Gefühle völliger Hilflosigkeit, manchmal sogar Selbstmordgedanken.

Je länger solche Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens anhalten und je weniger Hoffnungen die betroffene Person hat, dass die auslösenden Umstände sich in absehbarer Zeit ins Positive verändern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene irgendwann auch organisch erkranken wird. In manchen Fällen scheint es, als habe sich der Organismus auf diese Weise eine Erholungspause erzwingen und gleichzeitig ein eindeutiges Warnsignal geben wollen. Werden solche Warnsignale ignoriert, kann sich sogar eine Tendenz zur Selbstzerstörung manifestieren, dass sich die betroffene Person „zu Tode arbeitet“.

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